Dienstag, 12. August 2014

Mist und Glück im Unglück..

"Ok, die drei Poloshirts kaufe ich, die sind gut für die Arbeit. Ich geh mal zur Kasse." Dort stelle ich fest, dass mein Geldbeutel weg ist. Darin: Kreditkarte, meine deutscher Personalausweis, 100 Dollar. MIST! Wie konnte das passieren? Und wann?

Noch relativ ruhig gehe ich alle Plätze ab, wo ich mich vorher aufgehalten habe. Nichts. Ein bisschen panischer gehe ich zur Ladentheke und frage, ob jemand meinen Geldbeutel abgegeben hat. Sollte auffallen, ist aus dem Film "Pulp Fiction", es steht "Bad Motherfucker" darauf... Aber: Nichts- außer einem kurzen Lachen, als ich (dann doch ein bisschen peinlich berührt) meinen Geldbeutel beschreibe. 

Noch ein bisschen panischer frage ich Lynne nach dem Autoschlüssel, um zu überprüfen, ob mir der Geldbeutel vielleicht dort schon aus der Tasche gefallen ist. Ich laufe zum Auto, schaue mich auf dem Weg dahin überall um, wo ich vorher war. Nichts. Ich komme zum Auto, eine dieser amerikanischen Riesenkisten hat die Beifahrerseite zugeparkt, ich komme nicht richtig an die Tür. Stress. Wut. Als ich endlich im Auto bin: Keine Brieftasche. Ich schäle mich aus dem Auto, fange an zu schwitzen, die Panik überrollt mich genau so wie die Wut. 

Ich renne zurück in die Mall, auf dem Weg zum Laden schaue ich mich nochmal zumindest so genau um, wie es meine momentane Stimmung zulässt. Nix!!! Mit dem Satz "Alles weg, alles weg, alles weg, alles..." in Endlosschleife in meinem Kopf komme ich im Laden an. "Mittlerweile wer was gefunden?" Nichts. 

Nochmal schaue ich mich mit Lynne und Nathalie im Laden um, zerwühle alle T-Shirts, die ich vorher vielleicht mal in der Hand hatte, schaue unter alle Regale, in die Umkleide, werde immer nervöser, fange an, den Leuten mit saurer Miene ins Gesicht zu starren, in der Hoffnung, dass sich vielleicht jemand verrät oder Mitleid bekommt, aber: Nichts. 

Ich mache die Managerin verrückt, die holt die Security, damit ich meinen Verlust offiziell dokumentieren kann, alle sehr hilfreich, aber noch immer NICHTS. 

Ich bitte Nathalie, sich an den Ladenausgang zu stellen und alle Leute nach einer gefundenen Brieftasche zu fragen, sie tut es tatsächlich (DANKE!!). Währenddessen suchen Lynne und ich nochmal alles ab und nochmal und nochmal, aber wieder kein Erfolg. Ich fange an, Leute zu fragen. Die erste Person, die ich frage, eine Frau Mitte 40, antwortet auf meine Frage: "Well, I would like to help you but I don't know what a wallet is." Ich schaue sie an- ist die blöd oder bin ich es?! Dann beschreibe ich auf Englisch, was eine "wallet" ist. Sie versteht mich nicht. Dann sagt sie: "You know, I am German, i just visit here." Ich fass es ja nicht! Die erste Person, die ich anlabere, ist ne Deutsche! Also gleiche Frage auf Deutsch, leider ohne Erfolg. Ich befrage weitere Leute. Nichts.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Geldbeutel beim Betreten dieses Ladens noch bei mir hatte. Ich entdecke eine Überwachungskamera, frage die Managerin, ob ich mir kurz die Aufnahmen der letzten Stunde ansehen darf, die verneint jedoch: Schutz der Privatssphäre, Winkel der Kamera sei eh nicht gut (wozu gibts denn die verdammten Dinger?!!). Ich schreie die arme Managerin an, zum Glück nur innerlich, äußerlich versuche ich, ruhig zu bleiben. Gelingt mehr schlecht als recht, aber immerhin fühlt sich die arme Frau nicht vor den Kopf gestoßen. 

Als ich endlich einsehe, dass keine Chance mehr besteht, ist schon eine knappe Stunde vergangen. Lynne bezahlt meine für die Arbeit im Sockeye dringend benötigten schwarzen Poloshirts und ich verlasse mit hängenden Schultern den Laden. Auf dem Weg zum Auto schauen Lynne und Nathalie in jede einzelne Mülltonne, in der Hoffnung, dass vielleicht wenigstens die Brieftasche und der Ausweis wieder auftauchen-- die Brieftasche war ein Geschenk meiner Freundin. Tut mir sehr Leid, Laura!

Die KREDITKARTE! Um Himmels Willen, die muss ich sperren! Fällt mir erst dann ein. Verdammt! Ich habe die Notrufnummer nicht gesondert rausgeschrieben, aufs Internet kann ich von da wo ich gerade bin nicht zugreifen. Mist! Im Auto holt Lynne ihre Kreditkarte (gleicher Anbieter wie meine) heraus, ruft sofort die Notrufnummer an, wird an die internationale Notfallhotline durchgestellt. Sollte ja schnell gehen, so eine Karte zu sperren. Nix da. Ständig muss ich die Dame am Telefon bitten, langsamer mit mir zu sprechen, sie hat nicht nur einen schlecht verständlichen asiatischen Akzent, sondern redet auch noch viel zu schnell für mich. Meine Nerven sind eh nicht mehr die besten gerade. Immer wieder fragt sie mich dasselbe, immer wieder lande ich minutenlang in der Warteschleife, während sie angeblich versucht, meine Bankdaten ausfindig zu machen (die ich ihr gerade drei Mal genannt hatte!!!). Immer wieder gebe ich genervt das Telefon an Lynne weiter, doch selbst sie versteht die Dame nicht wirklich. Wir sitzen nun bereits eine halbe Stunde am Telefon, im Auto, auf dem Parkplatz vor der Mall. Ich bitte Nathalie, noch einmal schnell reinzugehen und nachzufragen, ob doch was gefunden wurde. Sie kommt mit leeren Händen und trauriger Miene zurück. Ich flippe am Telefon derweil fast aus, es geht nicht voran. Ich habe auch die Kreditkartennummer nicht im Kopf, die kann ich erst bei Lynne einsehen, wenn ich Internetzugriff habe- alle Dokumente eingescannt und abgespeichert, aber eben nicht da, wo ich gerade bin. 

Lynne fährt also los, Nathalie wird mir später sagen, dass sie teilweise ganz schön Schiss hatte, weil Lynne wohl sehr flott gefahren sein muss. Kriege ich nicht mit, überhaupt gar nicht, denn ich schlage mich die ganze Fahrt über am Telefon mit dieser unmöglichen Telefonistin rum, immer wieder gebe ich ihr die gleichen Informationen, immer wieder bin ich minutenlang, gefühlt also ewig, in der Warteschleife, immer wieder ohne Ergebnis- die Karte wird einfach nicht gesperrt. Ich weiß noch, wie Lynne neben mir immer wieder mit dem Kopf schüttelt und vor sich hin schimpft, weil sie mich immer die gleichen Dinge über meine Bankverbindung sagen hört. Die Telefonistin kann die dämliche Bank scheinbar nicht finden, obwohl ich sie ihr mindestens drei Mal buchstabiere. Auch meinen Namen kriegt sie einfach nicht hin. Wo bin ich denn hier gelandet?!! Irrenhaus!

Endlich zuhause angekommen schalte ich meinen PC an um meine Kreditkartennummer durchzugeben. Meine Nerven sind mittlerweile so gestresst, dass ich Lynne das Telefon übergebe. Knapp über eine Stunde (!!) telefonieren wir jetzt mit der Notfalltante! Ohne Ergebnis! Während ich den Scan meiner Sachen raussuche, wird Lynne am Telefon immer lauter und wütender, weil auch sie immer wieder die gleichen Dinge gefragt wird, wie ich zuvor. "He fuckin' told you that, I could hear it! Sorry, I don't mean to be rude but really-- what else do you want? Let me talk to your supervisor now, I can't stand that talk anymore!" Wird nix, Supervisor sind heute wohl aus. Also weiter mit der Tante. Meine Nummer gebe ich durch, sie sperrt die Karte, fragt nach Notfallersatz. Den will ich nur, wenn ich über die Kosten Bescheid weiß. "Nichts, ist umsonst" ist die Antwort. Also will ich Notfallersatz. Das zu organisieren ist wohl aber wieder ein neues Problem. Nach weiteren 15 Minuten, in denen Lynne immer wieder kopfschüttelnd und schimpfend ihre Adresse buchstabiert (während ich mir einen sehr großen Schock-Wein genehmige, der tatsächlich auch hilft..), bricht Lynne das Gespräch ab. Sie lässt sich noch einmal versichern, dass die Karte gesperrt ist und der Ersatz kostenfrei, eine Vorgangsnummer wird uns mitgeteilt. "Where are you?", fragt die Lynne die Telefonistin. "In the Philipines" ist die Antwort. Hammerhart. 

So müde wie ihr jetzt wahrscheinlich gerade beim Lesen werdet, war ich zu diesem Zeitpunkt bereits auch- aber mal zehn! Wir sind aber ja noch nicht am Ende...

Wir sind misstrauisch. Das lief alles nicht rund. Da ich nun die deutsche Notfallnummer per Internet einsehen kann, frage ich Lynne, ob ich ihr Telefon für ein Auslandsgespräch nutzen kann (ihr glaubt nicht, wie teuer telefonieren bereits innerhalb Kanadas ist!). Klar darf ich, ich tue es und erfahre innerhalb von 10 Sekunden, dass die Karte nicht gesperrt ist. Nach weiteren 5 Sekunden ist sie das. Keiner hat versucht, mit ihr zu bezahlen. Immerhin! Ersatz ist nicht kostenlos, nur seitens der Kreditkartenfirma. Die Bank nimmt dafür üblicherweise zwischen 100 und 150 Euro. Ich lehne dankend ab, das geht auch billiger, wenn ich mich direkt mit meiner Hausbank in Verbindung setzen kann (was mittlerweile geschehen ist- wie erwartet wesentlich günstiger!).

Inzwischen ist es zwanzig vor fünf- um fünf muss ich arbeiten! Oha, ganz vergessen! Zweiter Tag, direkt zu spät! Oder? Nee. Ich wasch mir schnell das Gesicht, putze mir den Weinduft aus den Zähnen und schwinge mich aufs Fahrrad, froh, dass ich endlich nicht mehr an dieses dämliche Telefon gebunden bin. Innerhalb weniger Minuten, in denen ich mich mit dem Fahrrad auf dem Deich mal richtig auspowere, bin ich noch rechtzeitig auf Arbeit und nachdem mich meine Kollegen sehr ausgiebig bedauert haben, geht der Arbeitsstress auch schon los und es bleibt gar keine Zeit mehr, sich noch weitere Gedanken über den Verlust zu machen. 

Glück im Unglück war, das ich nur einen kleinen Teil meines Bargeldes mitgenommen habe und auch nur das allernötigste Ausweisdokument. Wäre auch der Reisepass weg, der Führerschein, die Krankenkassenkarte, die EC-Karte, der ganze andere Kram, den man in diesem kleine Ding mit sich rumschleppt den ganzen Tag- ich wäre jetzt völlig aufgeschmissen hier. Den Personlausweis brauche ich nicht wirklich hier, den kann ich mir in Deutschland wieder besorgen, nicht so schlimm. Aber Aufwand und nicht billig. Insgesamt also ein Verlust von ca. 200 Dollar. Sehr, sehr ärgerlich, wenn es auch hätte ein höherer Verlust werden können, aber 200 Dollar weniger in der Reisekasse ist mich durchaus keine kleine Sache. Das sind 2 Wochen Essen.

Deshalb: Die Moral von der Geschicht: Ne geklaute Kreditkarte im Ausland willst DU nicht. Also aufpassen, dass ihr nicht so dumm und naiv seid wie ich! Ich kann noch immer nicht sagen, ob ich beklaut wurde oder ob ich einfach nur schusselig war, aber ganz ehrlich- bei Geld bin ich das eigentlich nicht. Noch nie hab ich sowas wichtiges verloren, vergessen oder was auch immer. Ist ein dummes, hilfloses und deshalb insgesamt einfach nur ekelhaftes Gefühl, wenn man keinerlei Ahnung hat, was denn nun eigentlich genau passiert ist und wo die persönlichen Sachen gelandet sind. Vom Geldverlust mal ganz abgesehen. 
Also: Watch it, fellas!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen